Geschichten aus dem Hinterland

Mata bichos

Portugalbesucher kommen über kurz oder lang mit einem der portugiesischen Nationalgetränke in Kontakt – Medronho, dem Schnaps aus der Frucht des Erdbeerbaumes. Unser erster Kontakt fand statt in einem typischen Touristenlokal. Der Wirt, ein Nordeuropäer, empfahl es inbrünstig und vor uns landete ein wasserklares Getränk, das roch wie Nagellackentferner.
Simão, durchaus erprobt in der Verkostung diversester Destillate, nahm einen Schluck und mußte den teuren Rest stehen lassen, denn der Geschmack entsprach ziemlich genau dem Geruch. Für die nächste Zeit lehnten wir dieses Getränk dankend ab.

portugiesisches Bauernhaus
typisches Bauernhaus im Hinterland

Aber bei Dona Maria-Rosa ist es nicht möglich, etwas abzulehnen. Wir sind dort zum Eier kaufen. Eigentlich wollten wir 10 Stück, doch die Verkaufseinheit ist uma dúzia – ein Dutzend. Sie packt jedes einzelne Ei in Zeitungspapier ein, setzt die verpackten Eier vorsichtig in einen sacinho, eine kleine Plastiktüte.


Ich will bezahlen, darf aber noch nicht. Dona Maria-Rosa schlurft davon und kommt mit einer Flasche und zwei winzigen Gläschen zurück. Zuerst muß das Geschäft mit einem Medronho begossen werden. Wir versuchen, höflich dankend abzulehnen – keine Chance.

Und siehe da, vor uns steht offensichtlich der echte Medronho: Würzig aromatisch duftend, mit einer zartgoldenen Färbung und einem ganz eigenen, fruchtigen Geschmack. Jetzt erfahren wir auch, daß ihr Mann José eine eigene Brennerei hat. Da sie beide aber schon über 80 Jahre alt sind, übernahm inzwischen ihr Sohn das Brennen.

Arbutus unedo
hochgewachsene Medronhobäume

November startet die Ernte der kleinen, roten Früchte, früher half dabei ein Muli beim Transport. Die Medronhopflanze würde eigentlich als Baum wachsen, sehr schön zu sehen zum Beispiel in den Gartenanlagen rund um das Oceanário in Lissabon.

 

Bei uns im Hinterland kennen wir sie aber nur als Büsche, das hat zwei Ursachen: Immer wieder können im Hochsommer Feuer ausbrechen, “angefeuert” durch ölige Zistrosen und Eukalyptus. Die Medronhopflanze brennt bis zum Boden ab und schlägt danach wieder mit buschigem Wuchs aus der kraftvollen Wurzel aus. Oder die Bauern halten die Pflanze kurz, denn das Gelände ist teilweise sehr steil und uneben und es ist unmöglich, bei der Ernte Leitern und ähnliche Erntehilfen mitzuschleppen. Geerntet wird von den verstreut wachsenden, wilden Büschen. Grundstücksgrößen von siebzig-, hunderttausend und mehr Quadratmetern garantieren, daß ordentliche Mengen zusammen kommen.

altes Bauernhaus
Medronhobrennereien können ganz unauffällig sein

Ende Januar, Anfang Februar wird der Medronhoschnaps gebrannt. Antonio, patrão einer anderen Brennerei, hat einen Mitarbeiter, der sich zwei Wochen lang nur um den Brand kümmert. Er zieht dann in die Scheune ein und schlägt sein Feldbett auf. Das ist nicht die schlechteste Idee, denn dort ist es deutlich wärmer als in einem portugiesischen Bauernhaus, in dem im Winter maximal ein Raum stundenweise geheizt wird. Trotz nächtlichen Temperaturen von manchmal bis zu minus drei Grad.

Dona Maria-Rosas Mann José unterstützt tatkräftig seinen Sohn und schaufelt die Maische aus der Scheune. Bezeichnend für das Hinterland: Alle alten Menschen haben Aufgaben in ihren Familien, Zäune flicken, Tiere hüten, Gemüse schälen, bei den Ernten helfen und vieles mehr. Stolz sagen sie gerne ihr Alter: 85, 93 und mehr. Es gibt einen Mann, der soll schon 100 alt sein, er lebt eigenständig in seinem Haus noch wie zu seiner Jugend ohne Strom und fließendes Wasser. José bewundern wir besonders, er ist altersblind, aber er läßt sich nicht unterkriegen und packt überall mit an.

Apropos blind – wir hörten das Gerücht, daß man von Medronho erblinden könne. Natürlich glaubten wir das nicht. Bis uns die Geschichte vom trinkfesten Engländer erzählt wurde, der trotz Warnungen eine ganze Flasche Medronho im Alleingang vernichtete. Am nächsten Tag wachte er irgendwann auf und konnte tatsächlich nichts mehr sehen. In Panik stolperte er durch die Ansiedlung (deshalb wurde die Geschichte auch bekannt). Er hatte Glück, im Laufe des nächsten Tages kehrte sein Sehvermögen wieder zurück.

Noch ein paar Worte zum Geschmack: Medronho ist nicht gleich Medronho …. Ein Casa de Pasto ist für seinen feurigen Medronho bekannt, man munkelt, daß die Wirtin Piripiri reinmixt. Dann gibt es noch eine besonders fruchtige Variante, der destilador setzt beim Brennen mirtilo, eine wilde Blaubeere, zu. Sehr beliebt, aber nur in kleinen Mengen im Umlauf. Die wahren Kenner vor Ort können sogar sagen, aus welcher Brennerei der jeweilige Medronho kommt.

Und wann wird Medronho getrunken? Nun, da gibt es viele Gelegenheiten: Zur Verdauung nach einem kräftigen Essen; am Morgen zum Aufwärmen nach einer kalten Winternacht; zur Begrüßung unter Freunden; zu einem Kaffee, um das starke Koffein zu verdünnen; zum Feierabend, wie der Busfahrer, der bei seiner letzten Rückfahrt mit laufendem Motor anhält und ein schnelles Gläschen pichelt; zu Geburtstag, Hochzeit und Taufe, alles Feste, wo ganze Familien mit bis zu 200 Leuten zusammenkommen; zur Gesundheit, denn Medronho ist ja kein Schnaps, sondern Medizin - “mata bichos” erklärt mir Antonio grinsend, tötet sämtliche “Viecher”, aber nur bei innerer Anwendung.

Unser Stammlokal schenkt den Medronho aus einer kleinen, schönen Flasche aus und eines Tages entwerfe ich eine stilisierte Zeichnung eines blühenden Medronhozweiges mit Früchten, übertrage diese auf die Flasche und alle sind begeistert. Ein halbes Jahr später – Maria schenkt aus einer normalen Flasche aus. Meinen fragenden Blick beantwortet sie gleich: Da waren Gäste da, denen hat die Flasche so gut gefallen, da haben sie sie samt restlichem Inhalt “mitgehen lassen”. Nun habe ich mir einen Vorrat schön geformter Flaschen zugelegt, alle vorbereitet mit der Zeichnung, Maria muß nicht mehr lange auf Ersatz warten … ist doch schön, wenn man als Destillateur und als Künstler so viel Anerkennung erfährt.


Diese Geschichte ist auch veröffentlich im Magazin vom Kulinarium Algarve